Basse, Michael

Partisanengefühle
Lyrische Protokolle

112 Seiten, Broschur, Gestaltung: Johannes Steil
Mit CD: der Autor liest 17 seiner Gedichte, die mit Zwischenmusik von Opus One produziert wurde.
€ 20 [D] € 20,60 [A] SFR 35
(ISBN) 3-87410-098-7

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Kongo so blau   Ars poetica   Weiße zeit

Die Revolution soll eine Schule ungehinderten Denkens sein. Aber sie kommt nicht. Was bleibt ist das Gefühl einer falschen Zeitrechnung, das Gefühl von Vorgeschichte zu Beginn des dritten Jahrtausends. Was bleibt ist sprachlose Bilderflut auf 500 Schrumpfkanälen, ist binäre Logik – null eins, ja nein, entweder oder, wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Was bleibt ist die fortschreitende Rationalität der Mittel bei gleich bleibender Irrationalität der Zwecke …
Und der lyrische Protokollant? Er ist Teil dieses Schrumpfprozesses – «infıziert bis auf die Knochen». Was bleibt sind Partisanengefühle. Und der Traum von einer Poesie, die einmal «das Machen», «das Tun» und zugleich «die Handlung» bedeutete, einer Poesie der Fülle und (Selbst-)Verschwendung. Oder wie es der amerikanische Lyriker Robinson Jeffers formulierte: «Den Dichter ernährt diese Weltzeit erst / Wenn er sie zerfetzt hat – und sich selber dazu.»

Biographie:

Michael Basse, geboren 1957 in Bad Salzuflen, Studium der Philosophie, Psychologie und Germanistik. Redaktionelle Tätigkeit für Zeitungen und Hörfunk. Zahlreiche Essays, Literaturkritiken und Autorenportraits, Übersetzungen von Lyrik ins Deutsche (John F. Deane, Anise Koltz, Ljubomir Nikolov, Blaga Dimitrova). 
Seit 1993 freier Mitarbeiter der Abteilung Kulturkritik des Bayerischen Rundfunks. Michael Basse lebt in München.

Clemens Prokop (*1974) und Nick Prokop (*1981) sind Opus One
Sie sind seit 2001 durch diverse Klangskulpturen hervorgetreten, zuletzt 2003 anlässlich der Wiedereröffnung des Nationaltheaters in Weimar.

Buchveröffentlichungen von Michael Basse:
Und morgens gibt es noch Nachricht
Gedichte, Passau 1992
Die Landnahme fındet nicht statt
Gedichte und Prosagedichte, Berlin 1997

Leseproben:

Partisanengefühle

in blauen salons beim zweiten rioja dritten schnaps je
nachdem was vorrang hat (blood art cross scar hiphop
etc.) häufen sich wieder frontberichte (lever dood as slaav
companeiros) vom leben hinter feindlichen Linien (ein
bildnis der wildnis weiter nichts) wer tauscht mit wem wer
teilt nach belieben ohne vertrag lizenz zum töten bewegung
im frontabschnitt nur mit losung es war fünf uhr als
die sonne schrie und gegenlosung wo ist mein mond in
freudlosen vorstädten ausgeleuchtet bis in den morgen
man muss sie schon lieben die hochsitze schießstände 
sicherheitsgräben es lieben vor läufen zu patroullieren (zielt
gut ihr hunde & trefft wenn ihr könnt) vor jedem streifzug
der blick vom gebirg’ auf umzäuntes gelände ruhig souverän
ohne plötzliche hast der augenblicke angespannter
ruhe wie füchse schakale ihn lieben nicht wissend was sie
unten erwartet morgen übermorgen (nicht heute) ein
glühen glimmen über allem (ein bildnis der wildnis weiter
nichts) welcher fußabdruck passt zu dir welches lied wer
springt zu früh aus der spur ins freie verfolgt von hungrigen
augenpaaren die nicht stillhalten können wollen bei
ihrer abrichtung zurichtung blendung (ein bildnis der wildnis
weiter nichts) es gibt noch bewegung hinter den linien
jenseits der aufmarschplätze alleen man muss sie nur lieben
die hochsitze schießstände sicherheitsgräben ohne
atempause dazwischen ohne erinnerung an berge wälder
(ein bildnis der wildnis weiter nichts) verfügbare masken
du kennst sie benutzt sie jäger gejagter seit menschengedenken
(der barbarossaerlass kennt kein drittes) immer
noch besser gejagt als gar nicht in mutters sprache vaters
geschlecht & kein pardon für füchse schakale frontberichter
mondanbeter (ein bildnis der wildnis weiter nichts)
welcher fußabdruck passt zu dir welches lied wer springt
zu früh aus der spur ins freie hinter die linien hinter die
linien ohne erinnrung an berge wälder (ein bildnis der
wildnis weiter nichts) ein echo ein nachklang aus alten
zeiten – wer erschoss salvatore giuliano und wer federico
garcía lorca (die wunden brannten wie sonnen am nachmittag
um fünf uhr) wo ist mein silbermond meine möndin
und wo mein gedicht mein schmutziges messer (ein bildnis
der wildnis weiter nichts)

 

Kleines kriegslehrgedicht

Am morgen danach dann
kettenbriefe waxwing letters
null drei null vier my dear
distressing times again n’est-ce pas
which dreams of peace null fünf null sechs
in traumlosen nächten ohne liebe
wütende nächte null sieben null acht
im neuen jahrtausend ändert sich nichts
die straßen die plätze füllen sich wieder
am morgen danach null neun null zehn
am morgen danach vertraute stimmen
denkende aller länder hört
auch du my dear friend comrade in mind
dein zeichen trotzalledem null elf
(die zeichensetzer schlafen nicht)
kanzler präsident null zwölf
general secretary null dreizehn
mahnwache schweigeminute null vierzehn
spende null fünfzehn aufs konto null sechzehn
am morgen danach my dear
am morgen danach déjà vu null siebzehn
friends & fellows comrades in mind
seid ihr herzlich eingeladen
(herzlich trotzalledem)
freuen uns über ihre antwort
sind jederzeit für sie da
zögern sie nicht uns anzurufen
erreichen uns unter der nummer null achtzehn
erwarten ihren besuch null neuzehn
ein kurzer anruf null zwanzig genügt
am morgen danach my dear
geht ja weiter das leben null eins
muss doch irgendwie weitergehn
geht ja immer irgendwie weiter
das leben null zwei das leben nulldrei
der glücklichen null vier null fünf
der unglücklichen null sechs null sieben
wie auch beim tod die welt sich nicht ändert
sondern aufhört jaja
das geht einfach so weiter null acht
muss ja muss muss (it has to)
immer weiter
weiter

Pressestimmen:

"Die radikalste und avantgardistischste Dichtung ist heute vielleicht
diejenige, die ganz direkt auf politische Wirkung abzielt."
ELIOT WEINBERGER auf dem Literaturfestival Berlin 21. Sept. bis 2. Okt. 2004

Fremdsein kannst du überall
Der Lyriker Michael Basse verreist ungern und fühlt sich trotzdem nicht daheim

"Seine Gedichte haben den Rhythmus eines Zuges auf selten benutztem Gleis. Ein Galopp der Gedanken über die Abraumhalden des im Alltagsgerede zerkleinerten Sprachschotters unserer Tage, durchsetzt mit dem zornigen Kommentar eines ungeduldigen Zeitgenossen, der nicht wegschauen kann. …Keine kontemplative Kuschellyrik zum Träumen und Einschlafen, kein dumpfes Gleiten auf der ICE-Trasse, sondern hellwaches Dahinrasen auf der Abschußrampe. "Gedichte wie Landminen", schwer vermittelbar an einen Markt, der nur die verdauliche Unterhaltung kennt, Gedichte, deren Zeit aber vielleicht doch gerade jetzt gekommen ist, nachdem die coole und oft selbstgenügsame Empfindsamkeit der Popliteratur mal wieder im Abebben begriffen ist.

Man muß sie hören, um vom Drive dieser Sprache mitgerissen zu werden … "Partisanengefühle", so der Titel, ist eine komplexe, ebenso persönliche wie politische Abrechnung mit der Gegenwart." … wo gefahr ist wächst die sprache", schreibt Basse - und macht es vor."
SILVIA STAMMEN, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Münchner Kultur 

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